Eine verlassene Bühne. Eine junge Frau liegt bewusstlos auf dieser. Sie erwacht.

Salthe: Was? Wo bin ich?
(sie erschrickt) Ach richtig, ich wurde …
Ein Narr betritt die Bühne und beugt sich über sie.
Kloun: Es scheint Dornröschen ist endlich erwacht.
Salthe: (schaut ihn misstrauisch an) Wer …
Kloun: Ihr müsst nicht so misstrauisch sein. Ich bin Ihr Freund, Eure Hoheit.
Salthe: Mein Freund?
Kloun: In der Tat, Eure Hoheit. Nehmt meine Hand. (er streckt seine Hand aus)
Salthe: Ich brauche keine Hilfe, vielen Dank. (sie steht alleine auf)
Kloun: (lacht) Ihr misstraut Menschen wirklich, was?
Salthe: (schaut sich um) Ich bin … auf einer Bühne?
Kloun: Nicht nur irgendeiner. Dies ist EURE Bühne. Für Eure BESTE Darbietung!
Aber lasst uns zunächst die Ausgangssituation klären. Wir befinden uns hier in einem Übergangsraum zwischen Leben und Tod. IHR befindet euch in einem Zustand zwischen Leben und Tod.
Und jederzeit könnte die Waage in die eine oder die andere Richtung sinken.
Salthe: Eine ziemlich geschmacklose Ausgangssituation, wenn Ihr mich fragt. Ich habe kein Interesse an diesem Spielchen.
Kloun: Oh, aber das solltet Ihr! Denn wenn Ihr leben wollt, solltet Ihr genau auf das hören, was ich zu sagen habe. Wie ich bereits erwähnte, ich bin Euer Freund. Man könnte sogar sagen, ich bin Euer (Pause) Clown in schimmernder Rüstung! (lacht)
Salthe: Aha.
Kloun: Ihr glaubt mir immer noch nicht? Wie gemein. (gibt vor zu weinen)
Salthe: Ich bin Eure endlosen Scharaden leid. Führt einfach Eure Erklärung fort.
Kloun: Ah, Ihr habt also doch angebissen! Ich muss sagen, ich bin Eurer doppelseitigen Maske gar nicht leid! (lacht)
Aber kommen wir zum eigentlichen Thema zurück. Ich bin hier, um Euch eine Chance zu geben. Eine Chance wieder in die Welt der Lebenden zurückzukehren. Was denkt Ihr? Klingt verlockend, wenn man die Umstände bedenkt, nicht wahr?
Salthe: Eine Chance wieder ins Leben zu treten? (zögert nicht) Ja, das will ich! Ich muss beim Vie’stâr Festspiel auftreten! Das ist mein einzig Begehren!
Kloun: Ich verstehe, ich verstehe. Das Festspiel ist das Wichtigste für Euch. Ich frage mich warum dem so ist …
Salthe: (fragt sich selbst) Warum?
Kloun: Nicht, dass mich Euer Grund sonderlich interessiere. Solange Ihr mein Angebot mit Eifer annehmt, bin ich zufrieden. Am Ende ist es allein Euer Verdienst, ob Ihr zurückkehren könnt oder nicht. Und ist eine Vorstellung, an der ein Leben hängt, nicht die beste Voraussetzung für Eure beste Darbietung?
Salthe: Also, was muss ich tun? Auf die Knie gehen und betteln?
Kloun: Was für eine wunderbare Bereitschaft! Aber nein, Ihr müsst nichts so Sinnloses tun. Alles, was ich von Euch möchte, ist, dass Ihr mir sagt, was der Grund für Euren Tod war!
Salthe: Der Grund für meinen Tod? Wenn es weiter nichts ist.
Ich starb, weil … (sie pausiert und denkt nach)
Kloun: Ihr missversteht, Eure Hoheit. Würdet Ihr die Antwort bereits jetzt kennen, so gäbe es keinen Grund für die Vorstellung! Aus diesem Grund nahm ich mir die Freiheit über einige Eurer Erinnerungen zu wachen. Denn die Aufführung, egal wie großartig, wäre sinnlos, würdet Ihr das Ende bereits kennen.
Salthe: Das Ende?
Kloun: Richtig! Eine Aufführung, die so spektakulär ist, dass sie bis zum Moment Eures Todes führt. Selbst jemand so Skeptisches wie Ihr wird den richtigen Schluss finden, sobald sie auf der Bühne steht!
Ich habe das Skript nach Euren letzten Tagen konstruiert. Und Ihr sollt die Hauptrolle in diesem spielen. Bis Ihr am Ende zu Eurer Wahrheit gelangt. Die Antwort, nach der es Euch verlangt, nicht wahr?
Salthe: Wessen Verlangen ist das, frage ich mich. Aber in Ordnung. Ich werde Euer Stück spielen. Und es wird die beste Darbietung aller Zeiten werden.
Kloun: Damit ist der Vertrag besiegelt! Der Titel des Stücks lautet: Salthe.
Und nun, seid bereit! Zeigt mir die beste Darbietung Eures Lebens!

Schauplätze

Mersin.

Eine kleines, blühendes Königreich umrandet von Bergen. Da es von der Außenwelt abgeschottet liegt, war es nicht sonderlich stark oder entwickelt. Aber dafür zeichnet sich seine Geschichte durch immerwährenden Frieden aus.
Salthe wurde in dieses Königreich geboren und fand sich dort als Kronprinzessin vor, geliebt von allen — ihrer Familie und ihrem Volk. Nicht nur wegen ihre Güte sondern auch für ihr Talent im Schauspiel.

Izel.

Ein von Militärkraft getriebenes Reich im Nordwesten.

Gwenole.

Ein Herzogtum im Südwesten.

Die Geschichte der Drei Reiche

Die Vie’stâr Festspiele.

Ein bedeutendes Fest, dass alle vier Jahre abwechselnd in einem der drei großen Reiche stattfindet. Für jeden, dem das Theaterspiel etwas bedeutet, sind die Vie’stâr Festspiele das ultimative Ziel.

Dramatis Personae

Impressario

Kloun: Ein mysteriöser Narr, der Salthe die Chance gibt, zur Welt der Lebenden zurückkehren zu können. Gibt vor Salthes Freund zu sein, aber nimmt nie seine Theatermaske ab.

Der Intendant

Ensemble

Salthe: Sie spielt die Hauptrolle in ihrem Leben. Nicht nur ist sie die Prinzessin des Königreichs Mersin sondern auch die beste Schauspielerin der drei Reiche und Mitglied der königlichen Theatertruppe. Sie kündigte ihren Rücktritt aus dem Theaterspiel an, doch starb wenige Tage bevor ihr letzter Auftritt auf den Vie’stâr Festspielen stattfinden sollte. Dank der Hilfe des Impressarios Kloun kann sie ihre Dernière aus dem Jenseits geben und dadurch uns und auch sich selbst zeigen, was die Ursache ihres plötzlichen Tods war.

Jean: Der Leibwächter der Prinzessin. Er stammt aus einfachen Verhältnissen und hat sich seinen Platz als Anführer der Leibgarde dank seine Fähigkeiten und Talente selbst erarbeitet. Der Prinzessin gefällt seine unschuldige und gutherzige Art und sie genießt seine ständige Begleitung.

Marie: Eine warmherzige Nonne und Salthes Kindheitsfreundin. Sie lebt allein in der Kirche außerhalb der Stadt, wo sie sich um die Kinder kümmert, die keine Eltern mehr haben. Obwohl es um die finanzielle Lage des Weisenhauses schlecht bestellt ist, verliert sie nie ihre Lächeln und schafft es irgendwie, einen Platz für die elternlosen Kinder bereitzustellen. Salthe nutzt ihre Kontakte um Adoptiveltern für die Weisenkinder zu finden.

Garnier: Der Minister des Königreichs Mersin. Er toleriert kein Versagen und hält sich auch selbst an seinen hohen Standard. Den Wohlstand, den Mersin genießt, ist zum größten Teil ihm zu verdanken, denn er kümmert sich um alle innen- und außenpolitischen Angelegenheiten mit patriotischer Hingabe.

Die vier Hauptfiguren

Stimmen aus dem Feuilleton

Als die Prinzessin ihren Rücktritt aus dem Theaterspiel ankündigte, war das gesamte Königreich sprachlos. Warum sollte ihr nächster Auftritt auf den Vie’stâr Festspielen ihr letzter sein? Aber wie heißt es so schön: Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist.

Und die Prinzessin ist zweifellos auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angelangt. Obwohl ihre Anfänge etwas unbeholfen waren (damals gab es sogar einige böse Stimmen, die behauptet haben, sie hätte ihre Position als führende Dame der Theatergruppe La Troupe de Dufresne nur wegen ihres blauen Bluts bekommen), hatte sich sich spätesten nach ihrem brillanten Auftritt auf den letzten Vie’stâr Festspielen in die Herzen der Zuschauer gespielt – eine Meinung, die ausnahmsweise alle drei Reiche geteilt haben.

Die Prinzessin genießt die volle Unterstützung ihres Volkes.

Die Erwartungen sind nun natürlich so hoch wie nie zuvor, aber wenn es jemanden gibt, der diesen gerecht werden kann, dann ist es eine Schauspielerin wie die Prinzessin; jemand der das Theater liebt, als würde das eigene Leben davon abhängen.

Es ist beinahe unvorstellbar, dass Salthe eine schlechte Darbietung abliefern könnte.

Etwas ist faul im Staate Mersin

Gleich nach Eröffnung des Stücks wird dem Zuschauer klar; dies ist wohl die persönlichste Aufführung, die Salthe je gegeben hat. Weder scheut sie sich davor, sozialkritische und politische Aussagen zu machen, noch ihr innerstes Selbst dem Publikum zu offenbaren.

Salthes Leben lässt sie nicht als simple Romanze, Tragödie oder Lustspiel aufführen.

Natürlich bedeutet das auch, dass die Geschichte, die uns erzählt wird, allein durch die Augen von Salthe selbst gezeigt wird.

Die Komplexität der Darstellung anderer Charaktere leidet zwar etwas dadurch, da andere Figuren ausschließlich zusammen mit Salthe die Bühne betreten und dann auch nur durch ihre subjektive Wahrnehmung kommentiert werden können, aber das heißt auch, dass das Potenzial für implizierte Charakterisierung enorm hoch ist. Nicht nur können wir über die wahren Absichten der drei größeren Nebenfiguren spekulieren, auch Salthe selbst gewinnt durch ihre besondere Betrachtung der Ereignisse der letzten Tage vor dem Vie’stâr Fest enorm an Dimension. Sie hat kein Interesse sich als einseitig positiv darzustellen, noch dem Zuschauer eine klare Botschaft mit auf dem Weg zu geben.

Stattdessen möchte sie, dass jeder sich selbst ein Bild ihres Lebens macht und zu seinen eigenen Schlüssen kommt.

Aber wird ihr Publikum zu dem gleichen Schluss kommen?

Du bist recht appetitlich anzuschauen. Doch was du zu sagen hast, macht mir Grauen.

Mit dem Fokus auf die Hauptfigur wird die Sicht auf das Umfeld allerdings unschärfer. Es ist schade, dass Figuren, die zwar den Großteil des Stücks über tragende Rollen spielen, aber nicht zum inneren Kern des Ensembles gehören, weder mit Namen noch mit Präsenz auf der Bühne gewürdigt werden – aber vielleicht ist das sogar der Sinn.

Allerdings bedeutet das auch, dass umso mehr auf das Aussehen und die Darbietung der Hauptakteure wert gelegt wurde. Salthe anzuschauen und zuzuhören ist eine Wonne. Niemals klang ihre Stimme glaubwürdiger, dynamischer, theatralischer.

Und auch optisch bekommt man einiges zu sehen. Insbesondere die größeren Geschehnisse werden durch eine Vielzahl verschiedener Schauplätze (vor allem Kerker) und Requisiten (viele Folterinstrumente) untermalt, die uns noch mehr in Salthes Leben und Leiden hineinversetzen lassen.

Es mangelt nicht an Bildern, die Salthes Leid untermalen.

Bei so viel Liebe zum Detail ist es umso trauriger, dass uns neben der sehr guten Stimmen der Hauptfiguren akustisch sonst nicht viel geboten wird. Nebencharaktere (fast so, als ob sie ihren Unmut ausdrücken wollen, dass sie nicht sichtbar auf der Bühne stehen dürfen) geben ihre Darbietung nur halbherzig. Auch die musikalische Untermalung lässt zu wünschen übrig. Positiv muss man allerdings hervorheben, dass das Eröffnungslied sowie der Abschlussgesang allererster Güte ist.

Glücklicherweise kann man beide Aufnahmen erstehen und sich daheim noch einmal anhören – und mitsingen, denn Karaokeversionen sind ebenfalls dabei.

Fappieren oder nicht fappieren; das ist hier die Frage

Ob Salthes Leben eine Tragödie oder Komödie ist, ist nicht die einzige Dualität, mit der der geneigt Zuschauer sich beschäftigen muss. Ebenso stellt sich die Frage, ob man ihr Leben in allen, schonungslosen Einzelheiten betrachten oder diese lieber nur im Groben erzählt bekommen möchte – ohne die Grausamkeiten, die Salthe ertragen muss, mit eigenen Augen sehen zu müssen.

Beide Varianten sind legitim. Das bedeutet aber nicht, dass die gekürzte Version familientauglicher sei. Salthe muss weiterhin Folter und Vergewohltätigungen durchstehen, auch wenn sie uns nicht vor Auge geführt werden.

Salthes Leben ist und bleibt eine erwachsene, schonungslos düstere Geschichte.

Habt ihr auch ein Ohr übrig, um Salthes Geschichte zu lauschen?

Wer sich an so etwas ergötzen möchte, dem gibt sich Salthe in ihrem Ganzen hin. Ob Folter oder Mord, in Gruppen oder allein; es mangelt nicht an Szenen, in denen Salthes alles abverlangt wird, noch sträubt sie sich dies uns in aller Schonungslosigkeit visuell darzubieten und zu erzählen. Tatsächlich sind es ihre ungefilterten Gedanken, ihr Fall in die Dekadenz, als auch ihr schier endlos erscheinender Stolz sich diesem entgegenzustellen, die den Voyeur unter den Zuschauern besonders anregen dürfte.

Nur bei persönlicheren, einvernehmlichen Begebenheiten geht Salthe nicht ins Detail, als wolle sie diese für sich behalten.

Herausforderung akzeptiert.

Denn kein gebrechliches Wesen ist das Weib

Am Ende der Aufführung war man sich selbst in meinen eigenen Reihen unschlüssig, ob Salthes Dernière nun eine Tragödie oder eine Komödie war. Das Potenzial zur Interpretation ist so hoch, wie das Leben vielseitig ist.

Während mich selbst bei Salthes Abgang von der Bühne ein unsagbares Gefühl der Leere umfasst hatte, so fühlten andere sich durch die Intensität und Stärke, mit der Salthe ihr Leben vor uns gerechtfertigt hat, von einem lebensbejahenden Impuls getroffen.

Am Ende ist Salthe nicht nur eine Geschichte über sie sondern auch über uns – Theater, das uns den Spiegel vor das Gesicht hält.

Was verbirgt sich hinter der Maske?

Ich lege jedem ans Herz, sich selbst ein Bild zu machen. Wie vorhin erwähnt, kann man ebenso ein Deluxe-Ticket erstehen, bei dem beide Lieder in höchster Qualität enthalten sind.

Ergattert auch ihr euch eines der begehrten Tickets zu Salthes Dernière.

Ob Salthes letzte Darbietung nun eine Komödie oder eine Tragödie ist, liegt in den Augen des Betrachters.

Mit Bestimmtheit aber kann man sagen, dass ihr Leben eine Drama ist, das dem Publikum noch lange im Gedächtnis bleiben wird – auch nachdem Salthe bereits für immer von der Bühne gegangen ist.

Tyr

Tyr hat sich einen Namen in der internationalen VN-Szene als Redner, Journalist und Übersetzer gemacht.

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