Famicom Detective Club war eine populäre Serie bestehend aus zwei Detektiv-Adventure-Spielen auf dem Famicom Disk System (und einer Sidestory auf dem Super Famicom), die ausschließlich in Japan erschienen waren.

33 Jahre später hat Nintendo sich entschieden, Remakes dieser beiden Spielen für die Nintendo Switch herauszubringen, um sie einer neuen Generation nahe zu bringen. Da Visual Novels inzwischen auch im Westen extrem beliebt geworden sind, wurde erstmals eine offizielle englische Übersetzung angefertigt.

The Missing Heir ist der erste Teil, spielt chronologisch allerdings nach dem zweiten Teil. Nichtsdestotrotz sollte man diesen zuerst lesen, da das Prequel einige Anspielungen auf den ersten Teil hat, die an dem Leser sonst vorbeigehen würden.

Ein klassischer japanischer Krimi

Der namenlose Protagonist wacht mit Amnesie auf, nachdem er anscheinend von einer Klippe gestürzt war. Schnell findet er heraus, dass er als Assistent in einer Detektei arbeitet und auf dem Weg war, einen Mordfall in einem abgelegenen Dorf aufzuklären.

Der Großteil des Spiels findet in ebendiesem Dorf statt. Der Spieler kann mit vielen Charakteren interagieren, diese über den Fall ausfragen, verdächtige Orte untersuchen und am Ende eines Kapitels Hinweise und Aussagen miteinander kombinieren.

Die mysteriöse Atmosphäre des Dorfes ist sicherlich eine der größten Stärken des Spiels. Mich hat sie sofort an Seishi Yokomizos Roman „Das Dorf der acht Gräber“ erinnert (vor kurzem auch in Deutschland erschienen) und ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Buch auch für den Autor von Famicom Detective Club: The Missing Heir, Yoshio Sakamoto, eine essenzielle Inspiration war.

Ein Notizbuch hilft dabei, jederzeit alle Informationen und Persönlichkeiten im Blick zu haben.

Die Art und Weise wie der Protagonist ermittelt und nach und nach die Wahrheit hinter den Morden aufklärt, dürfte Leuten, die mit japanischer Kriminalliteratur vertraut sind, sehr bekannt vorkommen. The Missing Heir ist ein Detektivkrimi im klassischen Sinne, was allerdings auch bedeutet, dass er kaum große Twists oder Überraschungen verbirgt, die man bei modernen Mystery-Games erwarten würde, dafür aber auch nicht mit abgedrehtem Unsinn nervt, wie man es zum Beispiel von einem Danganronpa kennt.

Altes in neuem Gewand

Audiovisuell stellen die Remakes von Famicom Detective Club einen goldenen Standard für Visual Novels in der heutigen Zeit dar, den nur wenige Spiele erreichen können.

Sowohl die Charakter-Sprites als auch die Hintergründe sind hochauflösend, perfekt aufeinander abgestimmt, sehen dank der vielen Animationen und Details wunderschön aus und lassen die Spielwelt zum Leben erwachen.

Selbst unwichtige Figuren im Hintergrund sind vollständig animiert.

Auch an der Vertonung wurde nicht gespart. Die originale Synchronsprecherin der weiblichen Hauptrolle, Yuko Minaguchu, die die Rolle 1997 auf der Satellaview-Sidestory gesprochen hatte, wurde wieder verpflichtet. Seiyuu-Legende Megumi Ogata leiht dem Protagonisten ihre Stimme. Die anderen Charaktere, selbst die unwichtigsten Nebencharaktere, wurden ähnlich hochkarätig besetzt. Dabei besteht der Cast vor allem aus klassischen Synchronsprechern der 90er Jahre, die nicht nur passend für die Zeit sind, in der die Geschichte spielt, sondern auch dafür sorgen, dass die Präsentation des Spiels nicht wie ein moderner „Anime“ wirkt, wie es bei zeitgenössische Visual Novels sehr häufig der Fall ist.

Es gibt kaum eine Visual Novel, die annähernd so gut aussieht und klingt, wie es diese Remakes tun. Da ist es auch verschmerzbar, dass es keinen Retro-Modus gibt, der uns die Geschichte in der alten Famicom-Grafik präsentiert. Denn seien wir ganz ehrlich; so gut haben die Pixel-Spiele auf dem NES ohnehin nicht ausgesehen. Wirklich gutes Pixelart kam erst mit der nächsten Konsolen-Generation oder auf dem PC98.

Allerdings gibt es die Möglichkeit, die originale Chiptune-BGMs als Hintergrundmusik zu holen. Neben dieser gibt es auch sehr stark am Original angelehnte neue Arrangements, die den Charme der alten Famicom-Musik adäquat transportieren können.

Das neue Gewand kann das Alte nicht verdecken

Das komplette Gegenteil des neuen Anstrichs, den Musik und Grafik bekommen haben, ist das Script und das Gameplay, die genau so altbacken und frustrierend daherkommen, wie sie es bereits damals auf dem Disk System getan haben.

Famicom Detective Club orientiert sich sehr stark an The Portopia Serial Murder Case, ein Meilenstein des Genres, das versucht hatte Storytelling und klassisches Adventure-Gameplay mit den wenigen Ressourcen, die damalige PCs und Konsolen zur Verfügung hatten, zu vereinen. Das bedeutet, dass man ein bisschen auf den Hintergründen herumklicken, um Tatorte nach Hinweisen zu untersuchen, und mittels eines Verb-Interfaces (Sprechen, Gehen, Denken, etc.) mit NPCs und der Welt interagieren konnte.

Was besonders ins Auge fällt, kann genauer untersucht werden.

Das an sich ist nichts Schlechtes. Die Interaktion mit der Spielwelt schafft eine Immersion für den Spieler, die dem Mystery-Genre nur entgegen kommt und die Illusion schafft, an der Aufklärung des Geheimnisses aktiv beteiligt zu sein.
Das Problem ist, dass Famicom Detective Club dies auf die wohl schlechtestmögliche Art und Weise realisiert, die man sich vorstellen kann.

Der normale Gameplay-Flow sieht so aus: Man begegnet einem NPC und ein Verb-Menü öffnet sich. Meistens wird man einfach die Aktion zum Ausfragen der Person benutzen. Nun bekommt man eine Reihe an Themen angezeigt, mit denen man die Person konfrontieren kann. Das macht auch Sinn. Selbst „modernere“ Krimi-Adventures wie zum Beispiel Ace Attorney bedienen sich erfolgreich dieses Systems.
Der Schein trügt allerdings, dass man die einzelnen Themen in einer beliebigen Reihenfolge abfragen könnte. Themen sind sehr stark voneinander abhängig und der Spieler kann nur die nötigen Informationen bekommen, wenn zuvor bestimmte andere Informationen erhalten wurden.

Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Man kann einen NPC nach Person A ausfragen und nach Thema X. Versucht man über Person A zu sprechen, sagt der NPC, dass er nichts Interessantes über diese Person sagen könne. Fragt man ihn dann nach Thema X aus, sagt er, dass Person A wohl mit Thema X zu tun hatte. In diesem Moment ändert sich die Aussage des NPCs über Person A und wenn dieser Menüpunkt noch einmal angeklickt wird, erzählt der NPC was Person A mit Thema X zu tun hat.

In diesem kleinen Beispiel erscheint das Vorgehen logisch und abstrahiert sogar etwas die Detektivarbeit, verschiedene Themen miteinander in Bezug zu setzen. In der Praxis allerdings hat der Spieler nicht mit 2 sondern mit 20 Themen zu tun, die sich über ein Dutzend NPCs und Locations, die nach Hinweisen untersucht werden sollen, erstrecken und oft in linearen Zusammenhängen miteinander verbunden sind, die eine ganze bestimmte Sache verlangen, die der Spieler zuerst machen muss, bevor es mit dem Dialogbaum weitergehen kann. Im Endeffekt bedeutet das, dass der Spieler statt zu kombinieren einfach nur stumpf jedes Themengebiet wieder und wieder ansprechen wird, auf der verzweifelten Suche nach dem einen Menüpunkt, der die nächste essenzielle Info für das Fortführen der Story beinhalten. In einigen Fällen kann die Suche nach diesem durchaus Minuten, wenn nicht sogar Stunden dauern, was katastrophale Auswirkungen auf das Pacing der Story und die mentale Gesundheit des Spielers hat. Mir ist das beim Durchspielen zwei oder drei Mal passiert und ich habe durchaus aufmerksam gelesen und Hintergründe durchsucht. Es wird kaum Spieler geben, die nicht mindestens einmal steckenbleiben und frustriert immer und immer wieder die gleichen Menüpunkte auswählen werden, auf der verzweifelten Suche nach der einen Sache, die sie übersehen haben.

Jede Person sollte mit allen Themen mehrfach konfrontiert werden.

Aber nicht alles ist schlecht. Es gibt einige Momente, wo der Spieler intelligent gefordert wird, selbst nachzudenken statt einfach nur wild alle Menüpunkte durchzugehen. Gerade zum Ende hin gibt es einen Moment, wo man selbst die Lösung eintippen oder aktiv mit frisch eingeführten Gameplayelementen die Schlussfolgerungen umsetzen muss. Momente wie diese habe ich bereits in anderen Spielen dieser Art gesehen, die jünger sind als Famicom Detective Club, was zeigt, wie wegbereitend diese Serie trotz ihrer durchaus großen Schwächen für das Genre war.

Doch leider ist das keine Rechtfertigung diese objektiven Schwächen für ein Remake nicht auszubessern. Es ist mir unbegreiflich, warum Nintendo das Script hier nicht verfeinert hat oder wenigstens optische Hinweise gibt. Neue Themen werden zwar farblich markiert, alte Themen mit neuen Infos hingegen nicht. So bringt das dem Spieler absolut gar nichts.

Klassisch oder veraltet?

Famicom Detective Club: The Missing Heir vereint Aspekte zweier Extreme; es ist eine der schönsten Visual Novels mit einem der schlechtesten Dialogsysteme im ganzen Medium. Was bleibt ist ein Spiel, das den Spieler zeitgleich erfreut als auch frustriert. Ob man es am Ende als Tortur oder Spaß empfindet, entscheidet sich wohl darüber, ob die Story es schafft, den Spieler dazu zu bringen, über die Probleme hinwegsehen zu können. Mag man klassische japanische Krimis, stehen die Chance dafür gar nicht schlecht. Erwartet man aber etwas mehr „Zeitgemäßes“, so könnte die recht einfache Geschichte, die The Missing Heir erzählt, wahrscheinlich etwas enttäuschen.

Ein wichtiges Zeitzeugnis ist Famicom Detective Club aber allemal und die Chance, die Serie erstmals auf Englisch genießen zu können, sollte alle Visual-Novel-Fans zumindest dazu motivieren, sie sich mal anzuschauen. Zumindest bis man irgendwann dann doch stecken bleibt und frustriert die Ermittlung beendet.

Tyr

Tyr hat sich einen Namen in der internationalen VN-Szene als Redner, Journalist und Übersetzer gemacht.

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