VNInfo Adventskalender #19: Amai Shiru – Vom Zucker dominiert

Heute gibt es das 19. Review unserer Reihe für den Dezember. Dabei handelt es sich wieder um ein ganz besonderes Spiel, denn es ist weniger eine Story vorhanden, sondern es wird in erster Linie im wahrsten Sinne des Wortes eine Geschichte erzählt. Die Geschichte von Zucker und Tee, Gott und der Welt und allem was dazu gehört.

Die Visual Novel Amai Shiru wurde am 21. Januar 2015 vom Circle Katsudou Mangaya auf der Comiket87 veröffentlicht. Das Studio und Szenariowriter Yuugai Shousetsu (ugainovel) ist im Westen bisher nur durch seine Arbeit an Lolige-Bait-trotz-All-Ages Visual Novel Ie no Kagi bekannt gewesen, was vom Publisher Henteko Doujin in den Westen gebracht und prompt auf Steam wegen seines Contents gebannt wurde. Bei Amai Shiru handelt es sich zwar nicht um ein Lolige, aber es trägt eine Gemeinsamkeit mit Ie no Kagi: Beide Spiele sind als Edutainment-Visual Novels gedacht.

Handlung

Die Welt wird vom Zucker dominiert.“ Das klingt nach Verschwörungstheorie, oder etwa nicht? 

Eigentlich wollte Protagonistin Himuro Sayaka nur an einem regnerischen Abend ins Café und einen Tee nach dem anderen trinken, doch dann gesellt sich eine in traditionelle Kleidung gehüllte Frau zu ihr und beginnt ihr ein großes Bild über die Geschichte des Zuckers zu erzählen. Um von historischen Fakten über Theorien und Hypothesen zu sprechen, beginnt die Frau ein kleines Büchlein nach dem anderen aus ihrer Tasche zu kramen, und daraus zu zitieren.

Was hat es mit der Verschwörung des Zuckers auf sich?

Meinung

Amai Shiru gehört zu den Edutainment-Visual Novels, einem Sub-Genre bei dem es weder um ausgeklügelte Stories, noch süße Mädchen geht. Es schwebt mir schon seit Monaten im Kopf, einen Meinungsartikel über Edutainment durch Visual Novel zu schreiben und mit diesem Spiel habe ich dafür einen perfekten Kandidaten gefunden. Ein anderer wäre Maitetsu gewesen.

Das erste Mal bin ich mit Yuugai Shousetsu in Kontakt gekommen, als ich mit dem CEO von Henteko Doujin & Eroge Japan über das Release von Ie no Kagi und dessen plötzlicher Entfernung von der Steamplattform sprechen wollte. Er teilte mir mit, dass Yuugai Shousetsu für seine soziokritischen Bildungsspiele bekannt ist, die die Probleme und Schwierigkeiten Japans hervorheben und nach akademischer Methode analysieren. Neben einer Analyse mit diversen Infodumps über verschiedene Themen soll eine übergreifende Handlung verfolgt werden. Nun ja, zumindest war dies bei Ie no Kagi der Fall; hier nicht.

Dies wurde uns beim Spielen nur zu schnell bewusst, denn Amai Shiru ist von oben bis unten eine einzige Informationswand über eine „Teeleologie“ von Zucker und Tee (Pun ist Absicht) in der Weltgeschichte.

Lernt man etwas?

Yep. Redoxreaktionen und Photosynthese in meiner Doujin-VN..

Wenn man sich bereits tiefgängig mit japanischer Geschichte auskennt, dann kann man mit ganzen den Namen und Referenzen bestimmt etwas anfangen, für Leute wie uns gilt das aber leider nicht. Wir mussten ständig irgendwelche Namen von ehemaligen Tennôs (Herrscher Japans), Missionaren oder Feudalherren auf Google suchen. Es wird den meisten Leuten so gehen. Es bleiben nach dem Spielen ein paar Wissensstränge hängen, jedoch ist die Reizüberflutung, gepaart mit dem durchaus schwierigen Japanisch ein Rezept für Chaos.

Wenn man sich mit japanischer Geschichte beschäftigen will, dann empfehle ich stattdessen dieses Video:

Hier habt ihr einen Beispielsatz:

精錬された灰吹銀《はいふきぎん》は、そのまま貨幣として海を渡り、明はこれを大口決済や兵士給与に当てた。明はこの頃、海禁政策で私貿易を厳しく禁じたが、銀の流通に連動して織物交易が活発になると、中国商人たちはその取り締り綱をかいくぐり密貿易を展開、武装して明朝に対抗し、国家衰亡の一因ともなった。

Technische Probleme

Die meisten Leute, die nicht grade ein N1-Level auf Japanisch abrufen können werden für dieses Spiel einen Texthooker benötigen. Das heißt: Ein Tool mit dem man in einem separaten Programmfenster den Text ausgegeben bekommt und mithilfe von Wörterbuchsoftware oder Browser-Erweiterungen wie Rikaichamp/Nazeka oder Yomichan die Lesungen und Bedeutungen der Kanji nachschauen kann.

Leider gab es große Probleme beim Benutzen dieser Software und wir hatten eine schreckliche Erfahrung damit, weil das Spiel ständig mehr Text ausgegeben hatte, als es sollte und auch viele Begriffe selbst mit J zu J-Wörterbüchern nicht aufzufinden waren.

Nani the fuck?!

Wissenschaftliche Methodik

Wer zur Uni geht und bereits wissenschaftliche Texte gelesen hat, der wird wissen, dass es gar nicht so einfach ist einen adäquaten wissenschaftlichen Text zu verfassen. Es gibt viele Faktoren, die dort stimmen müssen: Präzision der Fachbegriffe, Das Beibehalten eines roten Fadens, passende Beispiele, penibel genaue Zeitangaben und richtiges Zitieren nach einem konsistenten Zitierverfahren – neben zahllosen weiteren Faktoren. Yuugai Shousetsu-Werke folgen diesen Standards, jedoch sind sie auch genauso aufregend zu lesen.

In diesem Spiel werdet ihr völlig ohne jede Vorwarnung mit vertikalen Textboxen voller Text. Gleichungen, Jahreszahlen, Namen, wissenschaftlichen Konzepten, Buchzitaten und mehr überwältigt. Wir persönlich konnten das Spiel nicht beenden, da uns nach 5 Stunden wissenschaftlicher Abhandlungen mit sechs langen Zeilen und wurstlangen Sätzen die Köpfe genug rauchten, um uns ein Bild vom Spiel zu machen. Leider können wir euch nicht sagen, ob es außer dem Wissen über Sozialwissenschaft, Geographie, Geschichte, Chemie und vieles mehr noch etwas gibt, weshalb sich das Spielen und dabei lernen lohnen könnte.

Es kann aber nicht abgestritten werden, dass seine Werke an Präzision nah an der Perfektion sind. Wenn man des japanischen genügend mächtig ist, kann man den Faden eigentlich nicht verlieren, da wirklich jedes Detail hier aufs genauste genannt und definiert wird. Im Spiel zeigt sich das alles zwar in Form eines Dialoges zwischen der traditionell gekleideten Frau und der Schülerin; beide sind ungefähr auf dem gleichen Niveau, was gegenseitiges Verständnis angeht.

Auch das Zitieren ist sehr genau. Im Spiel nimmt die Frau ein Büchlein nach dem anderen aus ihrer Tasche und zitiert daraus Seite für Seite, Zitat für Zitat. Leider fehlen teilweise bei Namen (die im Japanischen unmöglich zu erraten sind) die Furigana, die festlegen wie ein Name/Wort gelesen wird), also mussten wir oft googlen, oder die Namen einfach überlesen.

Visuelles

Ein Grund warum wir das Spiel nicht schneller gedroppt haben, war der unglaublich gute Artstyle, der an die Werke von Innocent Grey (Kara no Shoujo, Flowers, Cartagra) erinnert. Die Charaktere sehen durch Komatsunas ernsteren Zeichenstil erwachsener aus. Ihre Kleidung ist sehr steril gehalten, was wahrscheinlich auch die Sterilität von Action und Handlung in dem Spiel verdeutlichen soll.

Zwischen den Szenen, oder auch zum Unterstreichen der Szenen wird viel historisches Bildmaterial verwendet. Auch gibt es eine große Weltkarte auf der während der Gespräche immer neue Elemente eingezeichnet werden, damit man auch visuell folgen kann.

Audio

Es gibt gute und schlechte Tracks in dem Werk, aber nur die spannenderen Themes stechen hervor. Das Problem ist, dass es in dem Spiel keine wirkliche Action gibt, also sind die Bangertracks am falschen Ort.

Fazit

Zakas Reaktion auf dieses Spiel erklärt, warum wir euch es nicht empfehlen können. Es scheint mir als ob der Grund für die Schöpfung dieses Werks war, dass man versucht hat einen wissenschaftlichen Leistungskurs verschiedener Disziplinen in eine Visual Novel zu packen. Ie no Kagi hatte einen packenden Plot, der zuerst mit Loli gelockt und sich später als Oceans Film-ähnlicher Thriller fortführte. Nach fünf Stunden lesen, haben wir aber trotzdem keinen Fortschritt im Spiel erreichen können, dafür wissen wir jetzt viel zu viel über Zucker und Tee, was wir eigentlich gar nicht brauchen. Danke Mr. Ugainovel.

Autor: Hata-tan

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Hi, ich heiße Hata-tan oder Ramon (25) und studiere Japanologie und Englisch an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Ich lese Visual Novels seit 2011 und habe bis dato um die 180 Visual Novels gespielt. Ich werde euch regelmäßig mit News und Reviews versorgen. Nebenbei arbeite ich als QC für JAST USA und diverse Fanprojekte. よろしく~